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Nr. 53 Ministerrat, Wien, 27. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS. (Abschrift); P. ?; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Baumgartner; abw. Latour, Doblhoff, Lebzeltern; BdE. Pillersdorf (28. 5.), Franz Karl (1. 6.).

MRZ. 962 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 27. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Baron Pillersdorf.

I. Eingabe des Sicherheitsausschusses

Der Minister des Inneren übergab eine von einem Ausschusse aus Bürgern, Nationalgarden und Studenten überreichte Eingabe1, worin derselbe erklärt, in diesen dringenden Augenblicken für Ordnung und Sicherheit der Stadt und die Rechte des Volks zu wachen.

Derselbe hat folgende Beschlüsse gefaßt und selbe der Genehmigung des Ministeriums unterzogen:

1. Die Wache an den Stadttoren werden von der National- und Bürgergarde und Studenten allein bezogen, die übrigen Wachen versehen dieselben mit dem Militär gemeinschaftlich.

2. Nur das zu diesem Dienste unumgänglich notwendige Militär bleibt hier, alles übrige wird unverzüglich abziehen.

3. Graf Hoyos bleibt als Bürgschaft für das Zugesicherte und für die Errungenschaften des 15. und 16. Mai in den Händen des Volkes2.

4. Diejenigen, welche die Schuld der heutigen Ereignisse des Tags (26. Mai)3 tragen, werden vor ein öffentliches Gericht gestellt.

5. Das Ministerium wird an Ew. Majestät das dringende Ansuchen stellen, daß Ew. Majestät binnen kürzester Zeit nach Wien zurückkehren oder, falls Allerhöchstihre Gesundheit dies verhindern sollte, einen kaiserlichen Prinzen als Stellvertreter ernennen.

|| S. 330 PDF || Mündlich setzte der Ausschuß heute noch das Be[ge]hren hinzu:

6. um Zurücknahme des Erlasses vom 18. Mai wegen des Standrechts.

Von diesem letzten Punkte ist jedoch der Ausschuß über die ihm gemachte Vorstellung wieder abgegangen, daß das Standrecht nicht publiziert, sondern nur dem Regierungspräsidenten die Ermächtigung erteilt worden ist, hiervon im Falle der Not Gebrauch zu machen4.

In der Erwägung der Notwendigkeit eines solchen Sicherheitsausschusses unter den gegenwärtigen außerordentlichen Verhältnissen hat der Ministerrat dessen Konstituierung sowie die ersten fünf Punkte rücksichtlich Beschlüsse desselben im wesentlichen genehmigt und nur

ad 1. den Wachposten am Hofkriegsgebäude als einen rein militärischen, dem Militär allein vorbehalten,

ad 2. das hier verbleibende Militär von dem Bedürfnisse des Dienstes überhaupt abhängig gemacht und zu diesem Ende sowohl die Anfertigung eines dieses Bedürfnis ausweisenden Verzeichnisses als auch die Erteilung von Gegenbefehlen an das etwa nach Wien beorderte Militär veranlaßt,

ad 3. endlich das Verbleiben des Grafen Hoyos zwar nicht „in den Händen des Volkes“, sondern „unter der Aufsicht des Ausschusses und unter Vorbehalt eines gesetzlichen Vorgangs“ zugegeben.

Der Ministerrat hat ferner den Ausschuß aufgefordert, die Bürgschaften zu bezeichnen, welche für die Sicherheit der Ah. Person Ew. Majestät und der kaiserlichen Familie gegeben werden können, und das gesamte Staatseigentum sowie jenes des Ah. Hofes, alle öffentlichen Anstalten, Sammlungen, Institute und Körperschaften in der Residenz unter den Schutz der Bevölkerung von Wien und des neugebildeten Ausschusses, denselben unabhängig von jeder anderen Behörde erklärt, ihm aber auch die volle Verantwortung für öffentliche Ruhe und Ordnung sowie für die Sicherheit der Personen und des Eigentums übertragen. Endlich hat das Ministerium erklärt, daß es die Amtsverrichtungen, welche ihm noch interimistisch anvertraut sind, nur so lange fortsetzen könne, bis sie entweder von Ew. Majestät zurückgenommen oder das Ministerium der Mittel beraubt ist, mit voller Freiheit seine Beschlüsse zu fassen und unter seiner Verantwortlichkeit auszuführen.

Dieser letztere Fall schien dem Justizminister war itzt schon eingetreten zu sein, indessen glaubte der Ministerrat, nach der Bemerkung des Baron Pillersdorf, daß der gegenwärtige kritische Moment nicht geeignet sein dürfte, das gänzliche Zurückziehen des Ministeriums zu rechtfertigen, da die Minister durch Fortsetzung ihrer Amtstätigkeit wenigstens manches Übel abzuwenden imstande sein dürften5.

II. Kompetenzerweiterung Erzherzog Stephans

Baron Pillersdorf teilte mit ein Schreiben des Hofrates Erb, womit im Auftrage Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Franz Karl das Gutachten des Ministerrates über einen Vortrag Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzog Palatins vom 19. Mai abverlangt || S. 331 PDF || wird6. In diesem Vortrage bitten Se. k. k. Hoheit 1. um Ihre Bestellung als alter ego Ew. Majestät im Königreiche Ungern und in den inkorporierten Ländern, 2. um Ausdehnung Höchstihres Wirkungskreises auf Siebenbürgen zum Vollzuge der Union und somit zur Kräftigung Ungerns, 3. um die Ermächtigung zur Einberufung sämtlicher ungrischer Truppen nach Ungern mit Ausnahme der in Italien bei der Armee und in Wien befindlichen.

Der Ministerrat, wiewohl nicht berufen, hierüber ein kompetentes Urteil abzugeben, hat doch mit Rücksicht auf die an ihn ergangene Aufforderung seine Ansicht dahin aussprechen zu müssen geglaubt, daß in der zeitweiligen Entfernung Ew. Majestät kein Grund liegen dürfte, in der Stellung des Palatins etwas zu ändern, und daß dies zu Folgerungen für andere Provinzen der Monarchie Anlaß geben würde, daß insbesondere 1. der Palatin in Ungern bereits der Wesenheit nach die Macht eines alter ego besitze, die Ausdehnung derselben aber auf die Nebenländer, auf Kroatien und die ganze Militärgrenze, nach der Bemerkung des Finanzministers, der unbeschränkte, bisher nur Ew. Majestät zustehende Oberbefehl über die Militärgrenze in seine Hände gelegt und hiermit das Mittel gegeben würde, die im Interesse der Aufrechthaltung der kaiserlichen Rechte tätige Wirksamkeit des Banus von Kroatien zu lähmen, sowie die weit verzweigte kroatische Erhebung zu unterdrücken; daß ferner ad 2. dieses Begehren ganz neu und umso bedenklicher wäre, als die Union Siebenbürgens mit Ungern, wogegen sich so viele Stimmen im Lande erheben, nur auf den beiderseitigen Reichstagen beschlossen werden kann und ad 3. es überhaupt, insbesondere aber in der gegenwärtigen Lage der Monarchie, höchst gefährlich wäre, irgend jemand anderem außer Ew. Majestät den Befehl über die außer Ungern befindlichen ungrischen Truppen einzuräumen.

In diesem Sinne hat der Ministerrat Ew. Majestät sein Gutachten in einem besondern Vortrage erstattet7 und hievon auch Se. k. k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Karl in einem untertänigen Schreiben in die Kenntnis gesetzt8.

III. Reise Erzherzog Stephans nach Wien; Lagebericht aus Ungarn

teilte Baron Pillersdorf den Inhalt zweier, ebenfalls im Auftrage Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Franz Karl durch Hofrat Erb ihm zugekommener Vorträge Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzog Palatins mit, in deren einem vom 16. Mai9 Se. k. k. Hoheit anzeigen, von der erteilten Ermächtigung, nach Wien zu kommen10, vorderhand, bis zur mehreren Befestigung der Ruhe im Lande keinen Gebrauch machen zu wollen, in dem zweiten vom 18. Mai11 Notizen über den Zustand in den Hauptstädten || S. 332 PDF || und auf dem Lande zur Ah. Kenntnis bringen, wovon als bemerkenswert bezeichnet werden dürfte, daß in den ersteren in der letzten Zeit keine Ruhestörung mehr stattgefunden hat, daß unter der Bürgerschaft ein besserer Geist sich zeige und manche unruhigen Köpfe in der aus Anlaß eines angezeigten Einfalls der Serbier beschlossenen Aufstellung eines mobilen Korps von 10.000 Mann eine Ableitung finden werden; daß auch im größten Teile des Landes ziemliche Ruhe herrsche, die Judenverfolgungen aufhören oder nachlassen12 und nur die Bewegungen in Kroatien und Slawonien Besorgnisse einflößen13.

Diese Notizen wurden zur Kenntnis genommen und, da sie keinen Anlaß zu einer Verfügung gaben, die Vorträge Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Franz Karl zurückgestellt.

IV. Bericht über das Befinden des Kaisers für die „Wiener Zeitung“

wurde der ebenfalls zur Kenntnis dienende Bericht des Gouverneurs von Tirol vom 23. Mai14 über das Wohlbefinden Ew. Majestät und der Ah. Familie vom Baron Pillersdorf mitgeteilt und dessen Bekanntmachung durch die Wiener Zeitung beschlossen15.

V. Nichtteilnahme Latours am Ministerrat

Der Kriegsminister Graf Latour erklärte in einem an den Ministerrat gerichteten Schreiben16, daß er von seinem gestern gefaßten Beschlusse, an den Beratungen des Ministerrates keinen Teil mehr zu nehmen und die Führung des Kriegsministeriums einstweilen dem GM. Baron Cordon17, jedoch unter seiner Verantwortung, anzuvertrauen, nicht abgehen könne.

Hierin erkennt der Ministerrat die Notwendigkeit, Ew. Majestät um baldige Ernennung eines anderen Kriegsministers oder vielmehr um Zusammensetzung eines neuen Ministeriums zu bitten.

Der GM. Baron Cordon, vom Ministerrat zur Beiwohnung bei den Beratungen desselben eingeladen, lehnte dies ab und erklärte sich nur zur einstweiligen Übernahme der kurrenten Geschäfte des Kriegsministeriums unter der vom Grafen Latour selbst vorbehaltenen Verantwortlichkeit desselben bereit und wird seine Erlässe im Auftrage des Ministerrates ausfertigen18.

VI. Suspendierung der Übernahme des Außenministeriums durch Wessenberg

Von dem ernannten Minister des Äußern Baron Wessenberg19 langte ein Schreiben ein20, des Inhalts, daß er die Übernahme des Ministeriums vorderhand suspendieren || S. 333 PDF || müsse, weil die übrigen Minister ihre Entlassung eingereicht haben21, der dermalige Zustand der Unsicherheit bei Übernahme seines Portefeuilles ihm eine freie Wirksamkeit nicht gestattet und die fremden Diplomaten auf Ah. Befehl eingeladen werden sollen, sich an das Ah. Hoflager zu begeben22.

Der interimistisch mit den Präsidium des Ministerrates beauftragte Baron Pillersdorf behielt sich vor, hierwegen mit Baron Wessenberg persönlich Rücksprache zu pflegen und das Resultat derselben zur Ah. Kenntnis zu bringen23.

VII. Neubesetzung der Kommandantenstelle der Wiener Nationalgarde

An den Minister des Inneren gelangte folgendes Ah. Kabinettschreiben vom 22. Mai24: „Über die Mir vom Ministerrate am 17. d.25 vorgelegte Bitte Meines FML. Grafen Hoyos um Enthebung vom Oberkommando der Nationalgarde finde Ich Mich bewogen, dieselbe in Gnaden zu gewähren und zum Nachfolger für diesen Posten Meinen FML. Wocher zu berufen, weshalb Ich auch das Erforderliche an Meinen Kriegsminister eröffne.“

Daß FML. Wocher bei der Armee in Italien angestellt ist, mithin den ihm Ag. verliehenen Posten nicht so bald antreten, die Nationalgarde aber gegenwärtig, nachdem auch Graf Auersperg den Oberbefehl über sie niedergelegt hat26, nicht ohne Oberbefehlshaber gelassen werden kann, so handelt es sich um eine zeitweilige Vorkehrung zur Versehung dieser Stelle. Hiefür wurden FML. Zanini und der Oberst Pannasch (beim Kriegsarchiv angestellt) als geeignet bezeichnet. Zanini hat sich bestimmt gegen die Annahme des Postens erklärt.

Pannasch ist bereit, denselben anzunehmen, wenn es vom Kriegsminister ihm aufgetragen würde. Da er nach Versicherung des GM. Baron Cordon ein Mann von Charakter und Energie, also wohl für diese Stelle geeignet ist, so glaubte der Ministerrat die Einleitung zu diesem Provisorium treffen zu sollen27.

Abendsitzung.

VIII. Hafterleichterungen für Graf Hoyos und Graf Dietrichstein

Der von einem Besuche bei dem (nach Nr. I. 3. dieses Protokolls unter Aufsicht des Bürgerausschusses als Bürgschaft für die Errungenschaften des Volkes zurückgehaltenen) Grafen Hoyos zurückgekehrte Minister des Inneren eröffnete, daß sowohl Graf Hoyos als auch Graf Dietrichstein, welcher ebenfalls in den Händen der Nationalgarde sich befindet, in förmlicher enger Haft (Graf Dietrichstein sogar mit Entbehrung der || S. 334 PDF || nötigen Bequemlichkeit) gehalten werden28. Da ein solches Verfahren durch das dem Ausschusse ad 3 (I.) gemachte Zugeständnis nicht gerechtfertigt erscheint, weil die Verhaftung weder im Begriffe der Bürgschaft liegt, noch dem ad punctum 3 ausdrücklich gemachten Vorbehalte eines gesetzlichen Vorganges entspricht, so glaubte der Ministerrat es für ein Gebot der Humanität und Gerechtigkeit ansehen zu müssen, den Ausschuß aufzufordern, daß er den Grafen Hoyos und den Grafen Dietrichstein (welcher letztre ohnehin bezüglich seiner Amtswirksamkeit mit den letzten politischen Ereignissen auf keine Weise in Verbindung gebracht werden kann) gegen Bürgschaft oder Ehrenwort, Wien ohne besondre Erlaubnis nicht verlassen zu wollen, der Haft entlasse29.

IX. Steiermärkisches Freikorps

Der Minister des Inneren eröffnete zur Notiz des Ministerrates, daß ihm soeben die Note des Kriegsministerii zugekommen sei, welche dessen Zustimmung zur Errichtung eines steiermärkischen Freikorps erteilt30.

X. Publizierung der Zugeständnisse an den Sicherheitsausschuß

Der sub 2. anliegende Aufsatz über die Beweggründe der beabsichtigten Auflösung der Akademischen Legion sowie der späteren Zurücknahme dieser Maßregel31, zur Veröffentlichung mittelst der Wiener Zeitung bestimmt, wurde mit Hinblick auf die am heutigen Tage dem Bürgerausschusse gemachten Zugeständnisse und die hierwegen sowohl mittelst besondern Anschlags als mittelst der Zeitung veranlaßten Kundmachung32 zur weitern Veröffentlichung nicht mehr für geeignet erkannt.

Ges. 1. Juni. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Wissenschaft. Ferdinand. Innsbruck, am 2. Juni 1848.