MRP-1-1-01-0-18480523-P-0049.xml

|

Nr. 49 Ministerrat, Wien, 23. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); BdE. Pillersdorf (25. 5.).

MRZ. 958 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung am 23. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Gold- und Silberbeschaffung für den Staat

Der Finanzminister berichtete, der Inhaber der Sollenauer Spinnfabrik, v. Pacher, habe ihm einen Vorschlag mitgeteilt1, welcher die Beiträge an Gold- und Silbergerätschaften etc. zur Deckung der Staatsbedürfnisse wahrscheinlich bedeutend vermehren würde. Es wäre nämlich eine Stemplung der statt der silbernen zum Gebrauche angeschafften Gefäße etc. aus unedlen Metallen einzuführen – als bleibendes Merkmal des gebrachten patriotischen Opfers, und die daraus zu prägenden Münzen wären mit einer Umschrift zu versehen, die ihren Ursprung andeutet. Baron Krauß gedächte – unter Zustimmung des Ministerrates – dem v. Pacher zu eröffnen, daß die Ausführung seines löblichen Vorhabens, eine öffentliche Aufforderung in diesem Sinne zu erlassen, keinem Anstande unterliege2.

II. Aufenthaltsort für die aus Kufstein entlassenen italienischen Geiseln

Der Kriegsminister äußerte, er habe vernommen, daß die sämtlichen aus Kufstein entlassenen italienischen Geiseln soeben in Wien angekommen seien3. Bei dem Umstande, daß deren Gegenwart in Wien unter den gegenwärtigen Verhältnissen einen nachteiligen Einfluß üben könnte, wurde beschlossen, ihnen Olmütz oder allenfalls die böhmischen Bäder als Aufenthaltsort anzuweisen4.

III. Erkrankung Wessenbergs

Aus einem von Regensburg den 21. Mai datierten Schreiben des Freiherrn v. Wessenberg an Baron Lebzeltern5 ergibt sich, daß der erstere erkrankt ist, und sich so angegriffen fühlt, daß er sich mit Hinblick auf sein vorgerücktes Alter verpflichtet hält zu bitten, es wolle für einen Ersatzmann im Ministerium statt seiner vorgedacht werden. Über diesen Gegenstand wird der Ministerrat Sr. Majestät besonders Vortrag erstatten6.

IV. Geplante Deputation nach Innsbruck

Auf Veranlassung des Journalisten Saphir7 wird sich eine Deputation zu Sr. Majestät nach Innsbruck begeben, um die baldige Ah. Rückkehr nach Wien zu erflehen. Der Ausschuß dieser Deputation hat sich zur erleichterten Ausführung ihres Vorhabens an den Minister des Inneren gewendet8, welcher sie mit einigen ihrer Anbringen an den Wiener Magistrat verwies und bezüglich der Beischaffung der nötigen Transportmittel an den Poststationen die Einwirkung des Finanzministers in Anspruch nehmen wird. Baron Pillersdorf hat sich übrigens bemüht zu bewirken, daß die Deputation, welche aus 48 Personen bestehen soll, minder zahlreich ausgesendet werde9.

V. Maßnahmen zur politischen Neutralisation der Studenten

Um das Abgehen der hiesigen Studenten zu beschleunigen – eine Maßregel, an die sich nach und nach die völlige Sperrung der Aula und die Auflösung der Akademischen Legion anschließen werden10 – wird der Minister des Unterrichts eine im Ministerrate vorgelesene und genehmigte Kundmachung erlassen, wonach die Vorlesungen an der Universität, dem Polytechnischen Institute und der Akademie der bildenden Künste sofort geschlossen werden11 und den Studierenden gemäß Ah. Entschließung vom 7. Mai die Befreiung vom Militär für die diesjährige Stellung und der fortgesetzte Bezug der Stipendien zugesichert wird12. Damit die von hier abgehenden Studierenden noch vor der Abreise ihre Gewehre zurückstellen, wird der nötige Auftrag an das Kommando der Akademischen Legion erlassen, und die Erfolgung der Frequentationszeugnisse von der geschehenen Ablieferung der Waffen abhängig gemacht werden13.

VI. Leitung des Handelsministeriums während der Abwesenheit Doblhoffs

Bezüglich der Modalität der Führung der Geschäfte bei dem Handelsministerium in Abwesenheit des Ministers Baron Doblhoff14 wurde beschlosen, daß der Finanzminister die Revision über die Departements der Hofräte Anton Krauß und Esch führe, die Arbeiten dem Stellvertreter des Baron Doblhoff, Ritter v. Kleyle, mitteilen und bei sich ergebenden Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung des Freiherrrn v. Doblhoff eingeholt werde15.

VII. Kreishauptmannbestellung im Viertel unter dem Wienerwald

Der Minister des Inneren brachte unter gleichzeitiger Überreichung seines Vortrages vom 22. l. M. 16 in Antrag, daß der erledigte Posten eines Kreishauptmannes im Viertel unter dem Wienerwald dem niederösterreichischen Regierungsrate v. Regner, einem in jeder Beziehung ausgezeichneten und vertrauenswürdigen Beamten, Ag. verliehen werde17.

VIII. Funktionszulage für den Grafen Albert Montecuccoli-Laderchi

Da Graf Montecuccoli derzeit nebst den Landmarschallsgeschäften auch das Präsidium von der Regierung mit aller Hingebung und dem besten Erfolge führt18, so glaubte der Minister des Inneren in Antrag bringen zu sollen19, daß für die Zeit dieser doppelten und überaus anstrengenden Mühewaltung dem Grafen Montecuccoli seine Gebühren als Landmarschall per 10.000 fl. mittelst einer Funktionszulage von 4000 fl. jährlich bis auf denjenigen Betrag zu ergänzen wären, welchen sein Vorfahrer Baron Talatzko20,a genossen hat21.

IX. Hofratsgehalt für Johann Carl Böhm

Der in der Ersten Sektion des Ministeriums des Inneren unmittelbar zuhanden des Ministers arbeitende Hofrat Böhm steht dermal nur im Genusse eines Gehalts von 3000 fl., da ihm der Charakter eines Hofrates mit Belassung seiner früheren Bezüge verliehen worden ist22.

Baron Pillersdorf glaubt in Antrag23 bringen zu sollen, daß diesem sehr tätigen und geschickten Beamten, welcher sich seit den Märzereignissen rastlos vom frühen Morgen oft bis über Mitternacht dem Dienste widmet, nunmehr der volle Hofratsgehalt per 4000 fl., welcher durch den Austritt des Hofrates Baron Münch24 in Erledigung gekommen ist, Ag. verliehen werde. Der dadurch offen werdende Gehalt per 3000 fl. || S. 306 PDF || würde dem gleichzeitig Ag. zum Regierungsrate zu ernennenden k. k. Rat und Hofkammerprokuratursadjunkten Johann Reich zuzuwenden sein, welcher dadurch für das Ministerium des Inneren bleibend gewonnen würde, woselbst seine gediegenen Kenntnisse und seine vielseitige Verwendbarkeit die besten Dienste leisten würden. Für die Finanzen würde hieraus gegen früher keine Mehrauslage entstehen25.

X. Aufhebung der Robot mit Ende 1848

Gegenwärtig haben auch die krainerischen Stände die Aufhebung der Robot und aller Naturalgiebigkeiten mit Ende des Jahres 1848 gegen Ausmittlung angemessener Entschädigung angesprochen26. Der Minister des Inneren glaubt, daß diesem Ansuche ebenso wie dem ähnlichen Einschreiten der Stände aus den übrigen Provinzen27 Ag. zu willfahren wäre und überreicht den Entwurf des diesfälligen Ah. Patentes28.

Sämtliche Minister erklärten sich mit den Anträgen des Baron Pillersdorf zu VII, VIII, IX und X vollkommen einverstanden.

XI. Militärische Beförderungen

Der Kriegsminister überreicht seinen Vortrag vom 21. l. M. 29, worin er auf die Ag. Ernennung des Oberstleutnants v. Radetzky-Husaren, Grafen Pejacsevich, zum Obersten statt des als ungarischer Kriegsminister austretenden Obersten Mészaros30 anträgt und au. bittet, die vom Grafen Radetzky bereits verfügte Ernennung des Ersten Majors Schanz zum Oberstleutnant und des Rittmeisters Grafen Karl Szécsen von Erzherzog Ferdinand-Husaren zum dritten Major in seinem inhabenden Regimente Ag. genehmigen zu wollen31.

XII. Militärische Beförderungen

Für die durch Oberst v. Gutjahrs Beförderung32 erledigte Obersten- und Regimentskommandantenstelle im Dragonerregimente Erzherzog Franz Joseph bringt der Kriegsminister den Zweiten Obersten v. Jakubowski in Vorschlag, wonach das weitere Avancement im Regimente durch Ernennung des Majors v. Ullrich zum Oberstleutnant und des Rittmeisters Baron Hartelmüller zum Major verbleiben würde33.

XIII. Aufstellung der vierten Reservelinienbataillons

Graf Latour brachte in Vorschlag, daß es von der mit Ah. Entschließung vom 13. Mai34 genehmigten Einberufung der 2. Landwehrbataillons, wodurch ältere und größtenteils bereits verheiratete Männer aus ihren Gewerbs- und Familienverhältnissen zu ihrem empfindlichsten Nachteile gerissen würden, abkomme und statt dessen vielmehr die Bildung der 4. Depotbataillons bei den deutschen Infanterieregimentern Ag. bewilligt werde. Diese Bataillons würden aus der jüngeren Bevölkerung im Wege der Rekrutierung gebildet, und auf diese Weise viele unruhige, arbeitslose und gefährliche Individuen unschädlich gemacht werden. Eine Mehrauslage wäre damit auch nicht verbunden35.

Der Ministerrat vereinigte sich mit den Anträgen des Kriegsministers zu XI, XII und XIII.

XIV. Sinnlosigkeit von Verhandlungen in der Lombardei

Der Minister des Inneren teilte mit ein ihm zugekommenes Privatschreiben des Mitgliedes der Mailänder provisorischen Regierung, Rezzonico, wonach zur Wiedererwerbung der Lombardie im Wege der Unterhandlung jetzt gar keine Aussicht vorhanden, dagegen aber zu erwarten wäre, daß diese Provinz zur Erlangung des Friedens und der Unabhängigkeit die größten Geldopfer bringen würde36.

XV. Öffentliche Arbeiten zur politischen Neutralisierung der Massen

Nachdem der provisorische Regierungspräsident Graf Montecuccoli37 in einer an den Minister des Inneren gerichteten Zuschrift auf die dringende Notwendigkeit hingewiesen hat, größere Bauten, womöglich in entfernteren Provinzteilen vorbereiten zu lassen, um die stets wachsende Zahl von Arbeitern – derzeit schon 12.000 – zu beschäftigen und von Wien abzuleiten38, äußerte der Minister der öffentlichen Arbeiten v. Baumgartner, daß man soeben Studien über die Umlegung der Straße über den Riederberg mache; daß der Umbau des Barbaraums39 nächst dem alten Hauptzollamtsgebäude in Wien demnächst beginnen werde und daß man auch den Neubau der ganz zerstörten Inzersdorfer Straße beabsichtige. Die vom Grafen Montecuccoli angedeutete Fortsetzung der Eisenbahn von Gloggnitz nach Mürzzuschlag aber könne noch nicht in Angriff genommen werden, teils weil es an den dazu nötigen Geldmitteln fehlt, teils auch, weil das Projekt selbst in technischer Beziehung noch keineswegs feststeht. Der Minister v. Baumgartner übernahm es, die Zuschrift des Regierungspräsidenten in diesem Sinne zu beantworten40.

XVI. Entgegnung auf die Kundmachung des Salzburger Kreishauptmanns über die Abreise des Kaisers

Der Minister des Inneren eröffnete, daß er sich zur Vermeidung der ungünstigen Auslegungen, welche die Kundmachung41 des Salzburger Kreishauptmannes über die Abreise Sr. Majestät von Wien erfahren dürfte (so wie diese Kundmachung sie deren auch bereits gefunden hat), veranlaßt gefunden habe, in die Wiener Zeitung einen aufklärenden Artikel einrücken zu lassen42.

XVII. Sistierung der Beförderungen von Alfred Fürst v. Windischgrätz und Wilhelm Freiherr v. Hammerstein-Equord

Über den vom Kriegsminister besprochenen au. Antrag, daß die FML. Fürst Windischgrätz43 und Hammerstein44 zu Feldzeugmeistern Ag. zu befördern wären, bemerkte der Minister des Inneren, daß seines Erachtens dieser Antrag vorderhand noch auf sich beruhen dürfte, da in diesem Augenblick keiner der genannten Generale mit einem Armeekommando oder einer andern Bestimmung betraut wird, welche eine höhere Dienstesstellung erfordert. Andererseits glaube er, daß das interimistische Ministerium mit Rücksicht auf seine dermalige Stellung sich der au. Vorschläge zu Ernennungen auf höhere Dienstesposten, zumal womit Mehrauslagen verbunden sind, sorgfältig zu enthalten habe, um nicht strenge Kritiken, wo nicht Verantwortlichkeit auf sich zu laden45.

Graf Latour vereinigte sich mit diesen Ansichten und berührte im Lauf der Erörterung auch den Umstand, daß es bei dem Umstande, wo der Staatsrat seine Funktionen bereits eingestellt habe46, an der Zeit sein dürfte, die Frage wegen Pensionierung oder anderweitigen Verwendung des Chefs der staatsrätlichen Sektion D, FML. Baron Prohaska, dann des Sektionsreferenten FML. Baron Schön in Erwägung zu ziehen47. Für den Fall Ew. Majestät die in dem vorstehenden Protokolle enthaltenen au. Anträge des tg. Ministerrates Ag. zu genehmigen geruhen, werden die den au. Anträgen unter den Zahlen VII, XI, XII und XIII enthaltenen Resolutionsentwürfe der Ah. Sanktion hierneben ehrerbietigst unterzogen, mit dem au. Bemerken, daß die den ehrfurchtsvollen Anträgen unter den Zahlen VIII, IX und X entsprechenden Resolutionsentwürfe Ew. Majestät abgesondert werden au. vorgelegt werden.

Ferdinand. Innsbruck, am 30. Mai 1848.