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Nr. 44 Ministerrat, Wien, 19. Mai 1848 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); BdE. Pillersdorf (20. 5.), Franz Karl (24. 5.).

MRZ. 901–905 – KZ. –

Protokoll der Abendsitzung des Ministerrates vom 19. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Beunruhigendes Verhalten der Studenten

Der Kriegsminister teilte dem Ministerrate mit, daß ein in der Burg auf Wache gestandener Student im Nacheilen zu seiner eben abgelösten Abteilung zwei Päckchen aus der Tasche verlor, welche ein Offizier auflas und dem Minister überbrachte. Sie sind, wie sich der Ministerrat aus der Besichtigung des einen dieser Päckchen überzeugte, mit Nägeln gefüllt und bestimmt, anstatt der Kugel auf die Pulverladung des Gewehres aufgesetzt zu werden. Diese Tatsache liefert einen neuen Beweis, mit welcher Hinterlist und Bosheit der Plan und die Ausführung der Vorgänge des 15. Mai1 ausgedacht, vorbereitet und geleitet wurden.

Graf Latour behält sich vor, den Kommandierenden General anzuweisen, das Nähere hierüber erforschen zu lassen, da der Offizier, der die Patronen aufhob, allein war und es nicht ratsam fand, den Studenten anzuhalten2.

Als weiteren Beweis des genauen Verständnisses zwischen den Arbeitern und Studenten führte Graf Latour noch das Faktum an, daß, als am 18. ein vermeintlicher Student einige Arbeiter zur Ausrufung der Republik aufforderte, diese nur darum ihm keine Folge leisteten, weil er nicht die rechte Losung hatte3.

II. Untersuchungen über die Abreise des Kaisers

Derselbe teilte ferner mit, daß nach Äußerung der Frau Freiin v. Brandhof4 die Kammerfrau Ihrer Majestät der regierenden Kaiserin von der Abreise Ihrer Majestäten nicht das mindeste gewußt habe.

Dies gab dem Minister Baron Doblhoff Anlaß, die Notwendigkeit einer Vernehmung aller Personen der Ah. Umgebung Ihrer Majestäten und der Ah. Dienerschaft in Anregung zu bringen, da nur hierdurch es möglich ist, dem noch immer sich äußernden Argwohn, als hätten die Minister, insbesondere Baron Pillersdorf, um das Ereignis gewußt, ja es veranlaßt, zu entkräften.

|| S. 266 PDF || Dies wird zwar, bemerkte Baron Pillersdorf, nie ganz gelingen, indessen ist er nicht entgegen, daß noch weitere Vernehmungen als bisher eingeleitet, und zwar, da der Ah. Hofstaat aus Zivil- und Militärpersonen besteht, je nach dieser Eigenschaft durch den Justizminister und den Minister des Kriegswesens veranlaßt werden, wozu sich dieselben auch bereit erklärten. Das Resultat der Erhebungen würde dann in einer übersichtlichen Darstellung zur allgemeinen Kenntnis zu bringen sein5.

Wie ungegründet übrigens der Verdacht einer Mitwissenschaft seinerseits sei, glaubte Baron Pillersdorf noch dadurch dartun zu können, indem er ein Paket produzierte, welches ihm noch am 17. von Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Franz Karl durch Hofrat Erb zukam und welches Eingaben des Banus von Kroatien und der Stände, dann Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Palatin in bezug der zwischen Ungern und Kroatien bestehenden Spannung enthält, worüber Baron Pillersdorf Sr. k. k. Hoheit seine Ansicht dahin zu eröffnen gedenkt, Höchstdieselben mögen sich für keine der beiden Parteien erklären, sondern die Eingaben auf den legalen Weg leiten lassen6.

III. Bewachung der Schatzkammer; Schliessung des Burgtheaters

Eine mitgeteilte Zuschrift des Kämmerers Graf Dietrichstein7, daß er sich in Erwägung des Zustands der gänzlichen Entblößung Ihrer Majestät von aller gewohnten Bequemlichkeit für verpflichtet gehalten habe, die benötigte Leibdienerschaft und Bedürfnisse Allerhöchstdenselben nachzusenden, gab dem Minister Baron Doblhoff den Anlaß zu erwähnen, daß Gerüchte über Nachsendung von Schätzen aus der Burg in Umlauf seien, und daß hierwegen etwas vorgekehrt werden sollte.

Es wurde sonach auf Antrag des Baron Pillersdorf beschlossen, den Stellvertreter des Ersten Obersthofmeisters um die Verfügung zu ersuchen, daß die Aufsicht über die k. k. Schatzkammer, die Kabinette etc. und Sammlungen etc. mit verdoppelter Wachsamkeit gehandhabt und keine Veränderung ohne Zustimmung des Ministerrates getroffen werde.

Zugleich wurde derselbe als Oberstkämmerer angegangen (über Motion des Justizministers), das seit dem 18. geschlossene Burgtheater, nachdem die außerordentliche Besetzung des Burgplatzes etc. wieder entfernt und derzeit kein Anlaß zu Besorgnissen vorhanden ist, wieder eröffnen zu lassen und in Hinkunft eine solche Schließung als eine polizeiliche Maßregel nur im Einvernehmen mit dem provisorischen Regierungspräsidenten Grafen Montecuccoli anzuordnen, welcher seiner Stellung nach zunächst berufen und in der Lage ist, die eine solche Maßregel begründenden Daten an die Hand zu geben8.

IV. Klage der Dampfschiffahrtsgesellschaft

Eine Klage der Dampfschiffahrtsgesellschaft9 über willkürliche Beaufsichtigung der Schiffahrt, der Passagiere etc. von Seite der Studenten und Arbeiter gedenkt Baron Pillersdorf durch eine Weisung an die Regierung zu beheben, daß derlei Übergriffen durch die Polizei mit Zuhilfnahme der Nationalgarde gesteuert werde10.

V. Politische Dikussionen in der Aula

Der Polizeirapport von heute11 lautet beruhigend. Nur auf der Aula ist wie immer reges Treiben. Zum Beweis dessen dient ein von Dr. Endlicher12 (dem zur leichtern Kommunizierung mit dem Ministerio ein Lokale im Hofkanzleigebäude eingeräumt wurde) mitgeteilter Rapport über vier auf der Aula zur Sprache gekommene Punkte, die seines Erachtens von der Regierung im Wege der Presse widerlegt oder aufgeklärt werden dürften. Sie sind:

1. In der – als Regierungsorgan vermuteten – Constitutionellen Donauzeitung fiel ein Artikel auf, der dem Argwohn Raum gibt, als werde eine Zurücknahme der Konzessionen des 15. Mai unter dem Titel, daß sie erzwungen worden, beabsichtigt13. Man wünscht, daß die Regierung zur Beruhigung der Gemüter diesen Artikel desavouiere. Die sicherste Desavouierung desselben, bemerkte Baron Doblhoff, läge wohl in der unverweilten Kundmachung eines auf Grundlage der Konzessionen des 15. Mais ausgearbeiteten Wahlgesetzes; allein, nachdem Baron Pillersdorf erklärte, mit dieser Kundmachung noch so lange warten zu sollen, bis die Wirkung bekannt sein wird, welche die Ereignisse des 15. und 17. in den Provinzen hervorgebracht haben, beschränkte sich der Ministerrat auf den Beschluß, in der nächsten über seine Verfügungen dem Publikum hinauszugebenden Kundmachung auch die Versicherung niederzulegen, daß er mit der Ausarbeitung des neuen Wahlgesetzes nach den am 15. Mai erteilten Konzessionen beschäftigt sei14.

2. Das Gerücht, es seien fünf Regimenter nach Wien beordert. Graf Latour bemerkte, daß dies ganz ungegründet, übrigens auch in keiner Zeitung noch dessen erwähnt worden sei.

Der Ministerrat glaubte, es dem Ermessen des Kriegsministers überlassen zu sollen, dieses Gerücht durch einen offiziellen Zeitungsartikel zu entkräften15.

|| S. 268 PDF || 3. Die Aufregung, welche die in der Kundmachung vom 18. nachmittags in Eventualität gestellte Publizierung des Standrechts hervorbringe16.

In Erwägung, daß andererseits die Wirkung einer solchen Androhung nur heilsam sein kann, glaubte der Ministerrat diesen Punkt fallen lassen oder lediglich dem Ermessen des Justizministers anheimstellen zu sollen, hierwegen eine erläuternde Erklärung im Falle der Notwendigkeit durch die Presse zu geben17.

4. Die Notwendigkeit, dem Ministerium durch allsogleiche Aufhebung aller Roboten in der ganzen Monarchie (nach dem Beispiele Ungerns und Galiziens)18 die Ergebenheit des Landvolks zu sichern, da von Seite der böhmischen Stände beschlossen worden sein soll, den böhmischen Bauern die Robot zu schenken19, um sie solchergestalt im Sinne der Reaktion fester an sich zu ketten. Allein, abgesehen davon, daß über einen solchen Beschluß eine offizielle Nachricht nicht vorliegt, würde es schwer sein, von den Bestimmungen der Patente, welche die Ablösung der Roboten in den Provinzen auf verschiedene, ohnehin nicht sehr entfernte Termine in Aussicht stellen, abzugehen und andererseits einer beabsichtigten freiwilligen Schenkung der Berechtigten entgegenzutreten.

Die Hinweisung auf das Beispiel Galiziens (Ungerns gar nicht zu gedenken) kann hier nicht stattfinden, weil dort der besondere Umstand eintrat, daß die Gutsbesitzer ihren Untertanen die Robot zwar erlassen wollten, vom diesen aber das diesfällige Anerbieten nicht angenommen wurde, und hierdurch die Regierung genötigt war, die Maßregel in ihrem Interesse selbst aufzugreifen, um nicht zu dem Vorwande Anlaß zu geben, als sei sie einer Maßregel zur Erleichterung des Untertans entgegen.

Darum wurde beschlossen, diesen Punkt fallenzulassen, wobei nur Baron Doblhoff das Bedauern ausdrückte, daß nicht überall das Aufhören der Roboten etc. angeordnet worden, weil bei dem unter dem Landvolke herrschenden Geiste von nun an auf eine Leistung derselben bis zum Zeitpunkte der angekündigten gesetzlichen Erlöschung nicht zu rechnen sein wird.

VI. Ermahnung Graf Leo Thuns

Erklärte Baron Pillersdorf , den Landeschef von Böhmen, der mit seinen Berichten sehr zurückhaltend ist, aufzufordern, daß er einige von ihm verlangte Äußerungen, namentlich über den in Prag zu haltenden Slawenkongreß, baldigst erstatte20.

VII. Aufstellung von Freiwilligenbataillons

Fragte Baron Pillersdorf den Kriegsminister, wie es mit den für Wien beschlossenen Werbungen zu Freikorps stehe21.

Graf Latour bezog sich auf seine hierwegen an den Minister des Inneren unterm heutigen Tage erlassene (abends noch nicht an ihn gelangte) Note, worin der Schwierigkeiten erwähnt wird, welche der Bildung von Freibataillons bei der gleichzeitigen Aufstellung von 35 Linienbataillons in Ansehung der Chargen, der Montierung und Bewaffnung entgegenstehen22.

Diese Schwierigkeiten schienen dem Ministerrate nicht von solchem Gewichte zu sein, um dem Hauptzwecke der Errichtung der Freibataillons – Entfernung der Arbeitslosen und Unruhigen – nachzustehen. Besser Freibataillons als zweite Landwehrbataillons, wo Verheiratete und Familienväter genommen werden müssen; der Ministerrat wünscht daher, daß vielleicht die Zahl der aufzustellenden Bataillone vermindert und zur Ergänzung derselben Freibataillons errichtet werden, wodurch dann die Verlegenheit wegen der Chargen, Montur und Waffen beseitigt wäre, die dann doch auch alle für die Linien oder Landwehrbataillons auch beigestellt werden müssen.

In diesem Sinne würde daher Baron Pillersdorf die Note des Kriegsministers beantworten, und dieser ist bereit, in die nähere Würdigung des Vorschlags nochmals einzugehen23.

Am 20. Mai 1848, Pillersdorf. Ges. 24. Mai. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Ferdinand. Innsbruck, am 25. Mai 1848.