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Nr. 27 Ministerrat, Wien, 4. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. fehlt; VS. Franz Karl; anw. Ficquelmont, Pillersdorf, Sommaruga, Krauß, Latour; BdE. Pillersdorf (6. 5.), Franz Karl (7. 5.).

MRZ. 618 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung am 4. Mai 1848 unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Franz Karl.

I. Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung

Nach der von Sr. k. k. Hoheit gegebenen Andeutung wurden aus Anlaß der in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai 1848 in der Stadt Wien vorgekommenen Störungen vorerst die Mittel zur Sprache gebracht, um Ruhe und Ordnung künftighin auf eine zuverlässigere Art herzustellen. Der gnädigst gemachten Andeutung, daß durch einen von Ew. Majestät selbst ausgehenden Aufruf an die Nationalgarde, Bürger und Studierenden zur Ruhe gemahnt werden soll, glaubte der Minister des Inneren durch die Vorbereitung eines Aufsatzes zuvorgekommen zu sein, mit welchem im Ah. Namen die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller Bewohner Wiens zur Erhaltung der Ruhe hervorgehoben werden soll. Der Erfolg selbst dürfte jedoch so lange kein vollständiger sein, als den Behörden die nötige Autorität, Tätigkeit und der Mut fehlt. Die Polizeidirektion ist noch unsicher und entbehrt einer im Ansehen stehenden Wache, die Munizipalgarde ist noch nicht zustande gebracht1 und der Bürgerausschuß selbst gehet bei seinen Beratungen und Vorkehrungen mit zu viel Schüchternheit vor, die Nationalgarde war gerade an dem erwähnten Abende in dem Übergange, wo der Austritt des Oberkommandanten Grafen Hoyos ausgesprochen war2. Der Minister des Innerena verfügte sich selbst von 10 bis 11 Uhr in das Menschengedränge, erkannte leider das Unzureichende der getroffenen Anstalten, um solchen Exzessen vorzubeugena, wie sich dieselben wirklich zutrugen.

Der Minister Graf Ficquelmont gab zur Erklärung des von ihm getanenen Schrittes, KZ. 1619/18483, folgende Sachverhältnisse an. Als ihm um 9 Uhr zur Kenntnis kam, daß eine Bewegung der Studenten sich gegen seine Wohnung zum Behufe einer politischen Demonstration richten werde, habe er nur die Äußerung gemacht, daß er für keinen Fall rätlich finde, daß zur Verhinderung dieser Demonstration militärische Gewalt angewendet werde. Er hoffte, daß die Nationalgarde und der gesunde Sinn der Bevölkerung jedem Exzesse zuvorkommen werde. Um 10 Uhr abends sei nun wirklich eine große Menge von Studenten gegen seine in der Landhausgasse || S. 153 PDF || befindliche Wohnung herangezogen, und da man ihn nicht zu Hause fand, so seien sogar vier Individuen in seine Zimmer eingedrungen und haben dieselben durchsucht, um die Wahrheit seiner Abwesenheit zu erproben. Nach einer halben Stunde habe man auch in der Wohnung seiner Tochter, der Fürstin Clary, nachgeforscht, da jedoch dies ebenfalls verfehlt war, so sammelte sich die Menge vor dem Gebäude der Staatskanzlei, wo der Minister den Geschäften oblag. Das Tor war geschlossen und man konnte hoffen, daß es mit dem Lärmen allein abgehen würde; allein nach 3/4 Stunden wurde das Poltern am Tore so heftig, daß das gewaltsame Einbrechen zu besorgen stand. Graf Ficquelmont ließ daher öffnen, und es kamen 10–12 Studenten, worunter etwa zwei Nationalgarden, in sein Geschäftszimmer und drangen auf die ungestümste, verletzendste Weise in ihn, daß er seine Ministerstelle niederlegen solle. Er erklärte seine Pflicht, wies insbesondere auf die Möglichkeit hin, daß ihm, so wie dem FML. Zichy in Venedig4, Vorwürfe gemacht werden könnten, und widerstand durch 3/4 Stunden den anstürmenden Reden der sogenannten Deputation. Dann begleiteten zwei Individuen den Grafen Ficquelmont auf dem Wege nach der Fürst Claryschen Wohnung, wo jedoch bald darauf eine zweite, nicht so zahlreiche, aber noch heftigere Deputation erschien und ihn nicht eher verließ, bis er seine Zusage machte, er werde Ew. Majestät innerhalb 24 Stunden die Bitte um seine Enthebung vorlegen. Leider seien hierbei solche Äußerungen der sogenannten Deputierten vorgekommen, wie sie nicht bloß für ihn als Minister kränkend, sondern auch für seine Tochter und Familiengenossen höchst verletzend sein mußten. Er könne darüber wohl nicht eine strafgerichtliche Prozedur wünschen, weil sie für ihn selbst weitere Belästigung zur Folge hätte. Allein, dieser Exzeß sei so geartet, daß er die schnelle Berücksichtigung seiner Bitte um Enthebung von dem Ministerposten hoffen und dafür auch geltend machen könne, daß die öffentlichen Interessen keine Zögerung gestatten5.

Graf Ficquelmont müsse in diesem Gassentumulte und Einbruche gegen den Hausfrieden leider einen Zusammenhang mit den aufreizenden Bewegungen der Polen wahrnehmen. Die Ankunft der Deputierten von Krakau6, das polnische Komitee7 ganz nahe der Aula, dann die zahlreichen Besuche bei Fürst Lubomirski8, die Benützung eines Franzosen Dighé, all dies lasse eine Verbindung der sogenannten politischen Demonstration der Wiener Studenten mit den Polen aus Krakau und Lemberg schließen.

Wie die Lage der Dinge jetzt ist, wird den Gesetzen schwer die gebührende Achtung zu verschaffen sein. Die öffentlichen Beamten sind eingeschüchtert, die Repressivgesetze insbesondere gegen die Presse nicht zur Ausübung gebracht, und der Aufruf im Ah. Namen dürfte sich als unzureichend erweisen, wenn nicht damit eine bestimmte Erklärung der baldigen Berufung der Reichsstände und eine Vorkehrung verbunden || S. 154 PDF || ist, daß sich nicht die Assoziation der Studenten mit den Deputierten der Nationalgarde zu einer dauernden gefährlichen Macht ausbilde.

Um die Ruhe für den heutigen Abend zu sichern, wurde einhellig beschlossen, die Bitte des Ministers Graf Ficquelmont um Enthebung von seiner Stelle bei Ew. Majestät sogleich zu unterstützen und die Nachricht hievon in der nebenstehenden Art dem Publikum bekanntzugeben9.

So bedauerlich die Veranlassung und noch mehr der Austritt des provisorischen Ministerpräsidenten für das Gemeinwesen und die Mitglieder des tg. Ministerrates ist, so glaubte doch der Minister des Inneren zur Erklärung der Vorfälle, wie die jetzt die Residenz beunruhigen, einige Bemerkungen beifügen zu sollen. Wenn nämlich auch nicht zu zweifeln ist, daß der Regierung solche Kraftmittel zu Gebote stehen, daß sie mit denselben den Unruhestörern mit Erfolg werde Widerstand leisten, so müsse doch die Möglichkeit eines Mißlingens nicht außer aller Berechnung bleiben. Bei dem fortdauernden Kriege in Italien, der sich nahenden Revolution von Galizien und bei der Anarchie in Ungarn dürfen die schwachen Seiten des hiesigen Zustandes nicht übersehen werden. Die Polizei als solche ist beinahe nicht vorhanden, ihre Organe scheinen mut- und ratlos und ihr Einschreiten wird noch keineswegs von der öffentlichen Meinung unterstützt.

Die Nationalgarde ist von den Vorurteilen nicht frei, welche die Masse beherrschen. Mißtrauen in die Regierungsgewalt und Furcht vor Reaktion machen die Mitwirkung der Nationalgarde für manche Fälle zweifelhaft.

Bei dem Militär endlich kann wohl unbedingt auf Treue und Energie gezählt werden, allein Ew. Majestät geruhten bisher durch Genehmigung der mildesten Maßregeln jedes Blutvergießen zu vermeiden, es dürfte daher dieser äußerste Punkt doch so lange als möglich vermieden werden. Durch Überwachung der Fremden, Entfernung der Unruhestifter und durch eine Norm, welche die Straßentumulte zu beseitigen geeignet ist, dürfte in Verbindung mit dem zu erlassenden Ah. Aufrufe für die Gegenwart ausgereicht werden.

Der Minister des Unterrichts Freiherr v. Sommaruga glaubt in seinem Wirkungskreise zur Verminderung der unruhigen Auftritte in der Wiener Universitätsaula eine Verordnung an den Rektor magnificus erlassen zu sollen, mit welcher die Zeit und die Art der Zusammenkünfte der Studentenschaft in der Aula eine Regelung erhalten würde. Es sollte die Aula nur durch drei Stunden täglich zu den erwähnten Besprechungen verwendet werden und [bei] denselben immer ein Direktor oder Professor zugegen sein. Freiherr v. Krauß wünschte, aus dieser Anordnung jene Bestimmung hinwegzulassen, welche eine Beglaubigung der Studenten als Körperschaft oder die Haltbarkeit ihrer Beschlüsse voraussetzen würde. Es wird durch die Beigebung eines Professors nur die Verhütung von gesetzwidrigen Akten, nicht aber eine positive Einmischung in die Besprechungen bezielt. Die Schließung der Universität anzuordnen, dürfte jetzt selbst einen Widerstand hervorrufen oder die Gefahr herbeiführen, daß die || S. 155 PDF || Bewegung von der Aula auf die Gasse versetzt würde. Der Ministerrat fand gegen die angedeutete, durch die Tatsachen bedingte Verfügung zur Herstellung einiger Ordnung in der Aula nichts zu erinnern10.

Die vom Minister des Unterrichtes , KZ. 1621, vorgeschlagene Weisung an den Wiener Magistrat wegen möglichster Schonung der Studenten bei der bevorstehenden Rekrutierung wurde allseitig als zweckmäßig erkannt und dürfte der Ah. Genehmigung in Betracht der außerordentlichen Umstände für würdig gehalten werden11.

II. Anspruch des ungarischen Ministeriums auf die Militärgewalt in Ungarn

Der Minister des Krieges brachte die Schwierigkeiten zur Sprache, in welche die Zentralkriegsverwaltung wegen der neuesten ungrischen Reichstagsgesetze12 gerät, da das ungrische Ministerium den ausschließlichen Einfluß auf die Generalkommanden, die Militärgrenze und die übrigen im Lande befindlichen Militärgegenstände, wie selbst Geschütze, Munition, Vorräte, Gestüte etc. anspricht und die Disposition mit den Truppen zu erringen strebt13. Baron Krauß macht vernehmlich auf die Stellung des Banus und auf den Umstand aufmerksam, daß die Verfügung und der Oberbefehl der Truppen stets dem Könige allein zustand, daß dieser Teil der königlichen Macht seiner Natur nach und nach dem Beispiele aller konstitutionellen Länder keine Mitwirkung verantwortlicher Minister gestatte und daß es selbst in dem Gesetze durch das Wort – honvédelem14 – eine Beschränkung für das ungrische Ministerium angedeutet sei. Die Wichtigkeit dieser Betrachtungen erwogen, behielten Sich Se. kaiserliche Hoheit bevor, Ah. Ew. Majestät besonders auf die Vorsichten bei Erledigung der von dem ungrischen Ministerium gestellten Bitten aufmerksam zu machen15.

III. Reduzierung des Briefportos

Der Finanzminister brachte die Verminderung des Briefportosatzes in dem Rayon bis 10 Meilen zur Sprache und glaubte durch die Herabsetzung von 6 fr. auf 3 fr. für den einfachen Brief den Verkehr zu erleichtern, ohne dem Gefälle eine Einbuße zuzuziehen. Der Ministerrat stimmte dieser vorgeschlagenen Verfügung bei16.

IV. Versetzung Johann Ludwig Freiherrn Dercsényis v. Dercsén

Der Vortrag wegen Versetzung des Hofrates der allgemeinen Hofkammer Freiherr v. Dercsenyi wird ebenfalls mit dem einhelligen Einraten der Ah. Genehmigung unterzogen17.

Am 6. Mai 1848. Pillersdorf. Ges. 7. Mai. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Wien, den 7. Mai 1848.